Berlin/Warschau. Polen steht nach der Präsidentschaftswahl vor einer politischen Zäsur: Der nationalkonservative Karol Nawrocki hat sich in einem knappen Duell gegen den liberalen Kandidaten Rafal Trzaskowski durchgesetzt. Mit rund 51 Prozent der Stimmen entschied der von der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützte Historiker die Stichwahl für sich. Der Amtswechsel könnte weitreichende Folgen für das politische Klima in Polen – und für das Verhältnis zu Deutschland und der EU – haben.
Überraschungssieg eines politischen Außenseiters
Der 42-jährige Nawrocki ist in der Politik bislang kaum in Erscheinung getreten. Bekannt wurde er vor allem als Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), einer Behörde, die sich mit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit beschäftigt. Privat pflegt der verheiratete Vater dreier Kinder das Image des bodenständigen Patrioten: Aufgewachsen im Danziger Arbeiterviertel, war er früher Amateurboxer, Türsteher – und nach eigenen Angaben kurzzeitig in der Hooligan-Szene aktiv.
Im Wahlkampf inszenierte sich Nawrocki als „Mann des Volkes“, als jemand, der die „Stimme der einfachen Leute“ sei. Seine zentrale Botschaft: ein starkes, souveränes Polen, das nationale Werte hochhält und sich von Brüssel emanzipiert. Europa- und klimafeindliche Positionen sowie die Forderung nach deutschen Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg bestimmten seine Kampagne. Rückendeckung erhielt er nicht nur von der PiS, sondern auch aus den Reihen der extremen Rechten – und sogar aus den USA: Ex-Präsident Donald Trump empfing ihn im Weißen Haus, seine ehemalige Ministerin Kristi Noem unterstützte Nawrocki öffentlich.
Sorge vor Blockadepolitik und Regierungskrise
Beobachter befürchten nun eine Fortsetzung der konfrontativen Linie, die bereits Nawrockis Vorgänger Andrzej Duda gegenüber der Regierung von Premierminister Donald Tusk verfolgte. In Berlin sorgt der Wahlausgang entsprechend für Besorgnis. „Für die deutsch-polnischen Beziehungen bedeutet das nichts Gutes“, erklärte der SPD-Politiker und ehemalige Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan. Eine engere Kooperation rücke damit in weite Ferne.
Auch der Politikwissenschaftler Piotr Buras, Direktor des Warschauer Büros des Thinktanks ECFR, sieht in Nawrockis Wahlsieg einen Rückschlag für das politische Projekt Tusks. Er warnt vor einem möglichen Zerfall der derzeitigen Regierungskoalition. Besonders die bäuerlich-konservative PSL, der kleinste Partner im Bündnis, könnte laut Nietan ausscheren – mit der Option, gemeinsam mit der PiS eine neue Mehrheit zu bilden. Pikant: Angeblich könnte der amtierende Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz im Gegenzug das Amt des Premierministers erhalten.
Politische Vergangenheit wirft Fragen auf
Nawrockis Biografie ist nicht frei von Schatten. So steht der frisch gewählte Präsident wegen seiner Vergangenheit als Türsteher in der Kritik: Medienberichte werfen ihm vor, in den 2000er-Jahren Kontakte ins Rotlichtmilieu gepflegt und Gästen eines Luxushotels in Sopot Prostituierte vermittelt zu haben – ein Vorwurf, den Nawrocki zwar bestreitet, aber bislang nicht juristisch ausräumen ließ. Zudem gibt es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten während seiner Zeit als Museumsdirektor, etwa die fragwürdige Nutzung einer Dienstwohnung.
Brisant war auch seine offene Beteiligung an einer illegalen Schlägerei im Hooligan-Milieu, die er kurz vor dem ersten Wahlgang einräumen musste. Die Enthüllungen schadeten seiner Beliebtheit kaum – im Gegenteil: Teile seiner Anhängerschaft sahen darin einen Beweis für Authentizität und Unangepasstheit.
Blick nach Washington statt Brüssel
Mit Nawrocki gewinnt ein Mann die Präsidentschaft, der außenpolitisch klare Prioritäten setzt: Statt sich der europäischen Einigung zu verschreiben, orientiert er sich stark an den USA. Seine Vorbehalte gegenüber der EU reichen vom Widerstand gegen die gemeinsame Klimapolitik bis hin zur Ablehnung des Migrationspakts. Innenpolitisch wird Nawrocki voraussichtlich sein Vetorecht aktiv nutzen, um zentrale Vorhaben der Tusk-Regierung zu blockieren – ein Szenario, das Erinnerungen an die erste PiS-Amtszeit von Andrzej Duda weckt.
Ein Präsident mit Sprengkraft
Der Sieg Karol Nawrockis markiert eine Wende in der polnischen Politik. Die Liberalen um Donald Tusk sehen sich nicht nur mit einem unnachgiebigen Präsidenten konfrontiert, sondern auch mit der realen Gefahr einer Koalitionskrise. Zugleich sendet die Wahl ein klares Signal an Brüssel und Berlin: Die polnische Gesellschaft bleibt tief gespalten – und ein Schulterschluss mit westlichen Partnern ist unter Nawrocki kaum zu erwarten.
Ob Polen nun auf Jahre in eine Phase innenpolitischer Blockade und außenpolitischer Entfremdung steuert, hängt auch davon ab, wie sich die nächsten Monate gestalten – und ob der neue Präsident bereit ist, das Amt über die Parteigrenzen hinweg auszuüben. Bisher deutet jedoch wenig darauf hin.