Paris. Frankreich steht vor einer tiefgreifenden sicherheitspolitischen Neujustierung. Präsident Emmanuel Macron kündigte an, das Land angesichts wachsender Bedrohungen durch einen neuen freiwilligen Wehrdienst zu stärken. Vor Gebirgsjägern in Grenoble erklärte er, Europa befinde sich in einer Phase zunehmender Instabilität, die eine Rückkehr zu einem nationalen Dienst notwendig mache. Russland handle heute „viel aggressiver“ als noch zu Sowjetzeiten, sagte Macron und verwies auf die strategische Zeitenwende, die Europa zwinge, sich neu zu rüsten.
Seit der konservative Präsident Jacques Chirac 1996 die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft hatte, setzte Frankreich auf eine schlanke, mobile Berufsarmee – zugeschnitten auf Auslandseinsätze in Afrika oder im Nahen Osten. Doch der Druck auf die Streitkräfte ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Macrons Versuch, 2017 mit dem „universellen Nationaldienst“ eine moderne Form des Dienstes einzuführen, scheiterte an hohen Kosten, Unklarheiten im Konzept und offener Ablehnung in der Armee.
Nun wagt der Präsident einen zweiten Anlauf. Der neue freiwillige Wehrdienst soll die Lücke zwischen Armee und Gesellschaft schließen und jungen Menschen eine definierte Rolle in der Landesverteidigung geben. Er soll zehn Monate dauern, mit rund tausend Euro monatlich vergütet werden und zunächst 10.000 Freiwillige umfassen. Bis 2035 soll die Zahl auf 50.000 steigen. Die Einheiten sollen militärische Aufgaben fern der Front übernehmen, aber auch in zivilen Sicherheitslagen – etwa beim Anti-Terror-Einsatz „Sentinelle“ – unterstützen. So soll die Berufsarmee entlastet werden, damit sich die Profis stärker auf Kernaufträge konzentrieren können.
Das Konzept wurde in enger Abstimmung mit führenden europäischen Armeen, darunter der Bundeswehr, entwickelt. Politisch stößt es jedoch auf Widerstand. Linkspopulisten wie Jean-Luc Mélenchon und die rechtsnationale Partei von Marine Le Pen unterstellen Macron, die neuen Freiwilligen könnten perspektivisch für Einsätze in der Ukraine eingeplant werden. Der Staatschef wies dies entschieden zurück und betonte, Frankreich werde keine Jugendlichen in den Ukraine-Krieg schicken. Die jüngste Debatte wurde auch durch eine Warnung des Generalstabschefs befeuert, der gesagt hatte, Frankreich müsse sich darauf vorbereiten, in einem möglichen Krieg „seine Kinder zu verlieren“. Macron stellte klar, dass die Formulierung im Sinne der nationalen Gemeinschaft zu verstehen sei, nicht wörtlich.
Parallel zur Einführung des neuen Dienstes soll die französische Reserve erheblich wachsen. Der Generalstab plant, die Zahl der Reservistinnen und Reservisten von heute 47.000 auf 80.000 zu erhöhen. Die Berufsarmee selbst soll um 15.000 Soldatinnen und Soldaten verstärkt werden. Frankreich verfügt im europäischen Vergleich bereits über eine der größten Berufsarmeen, jedoch über relativ wenige Zeitsoldaten und Reservisten.
Macron argumentiert, Frankreich müsse angesichts globaler Spannungen robust und handlungsfähig bleiben. Auch Einsätze französischer Berufssoldaten als Friedenstruppen in der Ukraine schließt er nicht aus, falls eines Tages eine Waffenruhe internationalen Schutz benötigt. Frankreich befinde sich im direkten Radius russischer Interkontinentalwaffen und könne daher Bedrohungen nicht ignorieren.
Mit dem neuen freiwilligen Wehrdienst startet Frankreich den größten Umbau seiner Streitkräfte seit der Abschaffung der Wehrpflicht – ein Schritt, der die sicherheitspolitische Landschaft Europas nachhaltig verändern könnte.


