Europa richtet seinen Blick zunehmend auf ein mögliches militärisches Kräftemessen mit Russland – und setzt dabei auf ein Symbol westlicher Feuerkraft: den Leopard 2. Während Wladimir Putin seine Panzerproduktion massiv hochfährt, versuchen die europäischen Staaten, ihre seit Jahrzehnten geschrumpften Bestände wiederzubeleben. Nirgends zeigt sich das deutlicher als in Deutschland, wo der neue Leopard 2A8 zur Schlüsselfigur einer strategischen Neuausrichtung geworden ist.
Nach Angaben des Handelsblatts sind beim deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS inzwischen rund 350 Bestellungen aus fünf Ländern für das jüngste Leopard-Modell eingegangen. Das Fahrzeug gilt als technologischer Meilenstein und knüpft an eine Tradition an, die deutsche Panzer seit Jahrzehnten zu Exportschlagern macht. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt auf den modernen Koloss. 123 Panzer sind bereits geordert, weitere 75 sollen folgen. Mit den ersten Lieferungen wird die Panzertruppe der Bundeswehr wieder auf 430 Fahrzeuge anwachsen – eine Zahl, die im internationalen Vergleich dennoch bescheiden wirkt.
Die ersten neuen Panzer gehen an die Panzerbrigade 45 in Litauen. Sie ist an der NATO-Ostflanke stationiert und soll im Ernstfall als vorderster Schutzwall dienen. Dass die genaue Zahl der in Litauen verlegten Leopard-Panzer geheim bleibt, ist Teil der Abschreckungsstrategie. Sicher ist nur: Das neue Modell bedeutet für die NATO einen spürbaren Zuwachs an Kampfkraft. Hauptgrund dafür ist das israelische Trophy-System, ein abstandsaktiver Schutzschild gegen Drohnen, Panzerfäuste oder gelenkte Raketen. Vier Radarsensoren, zwei Werfer und ein Hochleistungscomputer bilden einen unsichtbaren Wall, der anfliegende Geschosse zerstört, bevor sie den Panzer treffen. In Konflikten, in denen Drohnen eine entscheidende Rolle spielen, könnte der Leopard damit wieder zur dominierenden Plattform auf dem Gefechtsfeld werden.
Doch die glänzende Technologie überdeckt ein strukturelles Problem: Europa mangelt es gravierend an Masse. Während Russland schätzungsweise hunderte Panzer jährlich nachproduziert oder reaktiviert, schafft die Leopard-2-Produktion heute nur noch rund 50 Einheiten im Jahr – ein Bruchteil früherer Kapazitäten. Selbst wenn die Bundeswehr ihre Bestände modernisiert, bleibt sie weit hinter den Zahlen des Kalten Krieges zurück. 1992 verfügte Deutschland über mehr als 4000 Kampfpanzer, heute sind es nur noch wenige hundert. Experten warnen zudem, dass auch die übrigen NATO-Staaten mit erheblichen Engpässen kämpfen. Viele ihrer Panzer sind veraltet oder nur eingeschränkt einsatzbereit.
Die militärische Realität zeigt sich eindrucksvoll im Ukrainekrieg. Dort haben Leopard-Panzer – selbst ältere Modelle – nach Einschätzung vieler Experten ihre hohe Gefechtsleistung unter Beweis gestellt. Dennoch wäre die Ukraine für einen Sieg auf völlig andere Größenordnungen angewiesen. Eine norwegische Studie beziffert den Bedarf auf bis zu 2500 Kampfpanzer in ein bis zwei Jahren, ein Wert, der mit den derzeitigen westlichen Fertigungsraten völlig unerreichbar scheint.
Was bleibt, ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Während Russland rüstet, stolpert Europa durch komplexe Beschaffungswege, industrielle Engpässe und politische Abstimmungen. Die Zukunft der Panzerwaffe soll langfristig im deutsch-französischen Großprojekt MGCS liegen. Doch dieses verzögert sich immer weiter. Die Bundeswehr rechnet frühestens ab 2045 mit den ersten Systemen. Bis dahin muss der Leopard die Rolle des Rückgrats übernehmen – möglicherweise ergänzt durch ein Zwischenmodell, den Leopard 2AX.
Ob der Leopard im Ernstfall tatsächlich das entscheidende Mittel sein kann, bleibt offen. Doch ohne ihn wäre die europäische Sicherheitsarchitektur derzeit kaum vorstellbar – und der Westen deutlich schlechter gerüstet für das, was Putin möglicherweise plant.


