Eine Serie spektakulärer Brand- und Sabotageakte in Europa bekommt zunehmend die Konturen einer koordinierten Untergrundoperation. Ermittler in mehreren Ländern gehen inzwischen davon aus, dass hinter den Bränden in großen Einkaufszentren, dem IKEA-Warenhaus in Vilnius und den gefährlichen Brandsätzen in Luftfrachtpaketen ein internationales Netzwerk steckt – mit möglichen Verbindungen zu russischen Nachrichtendiensten.
Ausgangspunkt der Ermittlungen sind mehrere Vorfälle im Jahr 2024: Im Mai brannte ein IKEA-Markt in der litauischen Hauptstadt Vilnius, wenige Tage später wurde ein riesiges Einkaufszentrum in Warschau nahezu vollständig zerstört. Im Sommer folgten weitere Alarmmeldungen aus England, Polen und Deutschland, als Brandsätze in Luftfrachtpaketen Feuer fingen. Nur durch Zufall kam es zu keiner Katastrophe im europäischen Luftverkehr. Besonders der sogenannte „DHL-Plot“ ließ Sicherheitsbehörden aufhorchen.
Polnische und litauische Ermittler sehen diese Taten inzwischen als Teil eines zusammenhängenden Sabotagekomplexes. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine registrieren westliche Sicherheitsdienste einen deutlichen Anstieg von Sabotage- und Brandstiftungsdelikten, bei denen Moskau zumindest indirekt als möglicher Auftraggeber vermutet wird. Russland weist solche Vorwürfe regelmäßig zurück und spricht von westlicher „Paranoia“.
Nach aktuellen Ermittlungsständen sollen rund 20 Personen an den Operationen beteiligt gewesen sein. Festnahmen gab es unter anderem in Polen, Litauen, Großbritannien, Spanien, den Niederlanden, Bosnien-Herzegowina und Rumänien. Die Struktur des Netzwerks beschreiben Ermittler als pyramidenartig organisiert: An der Spitze stehen demnach wenige mutmaßliche Drahtzieher mit Verbindungen zu russischen Geheimdiensten. Darunter agieren Koordinatoren, die wiederum sogenannte „Wegwerfagenten“ anwerben.
Diese ausführenden Täter werden laut Ermittlern häufig über Messenger-Dienste wie Telegram rekrutiert, erhalten kleinere Geldbeträge und wissen oft nicht, in wessen Auftrag sie handeln. Auffällig ist dabei, dass gezielt ukrainische Staatsbürger angeworben worden sein sollen – offenbar, um Spuren zu verwischen und den Verdacht von Russland wegzulenken.
Auch Deutschland taucht zunehmend im Fokus der Ermittlungen auf. Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zufolge gab es im Sommer 2024 eine bislang nicht öffentlich bekannte Durchsuchung bei einem ukrainischen Staatsbürger in Berlin. Der Mann lebte in einem ehemaligen Hotel, das als Unterkunft für Geflüchtete genutzt wurde. Ermittler prüfen, ob über seine Adresse Pakete verschickt wurden, die im Zusammenhang mit den Brandanschlägen stehen könnten. Ob er aktiv beteiligt war oder seine Anschrift lediglich missbraucht wurde, ist bislang unklar.
Ein weiterer Fall führt in eine ostdeutsche Großstadt. Dort wurde ebenfalls ein Ukrainer durchsucht, der angab, im Auftrag eines Bekannten eine Nachricht an einen später festgenommenen Litauer weitergeleitet zu haben. Dieser Litauer soll für den Versand von Brandsätzen per Luftfracht verantwortlich gewesen sein. Zusätzlich gibt es Hinweise auf geplante Anschläge mit Sprengstoff und Drohnen: Ein in Polen lebender Ukrainer soll den Auftrag erhalten haben, Drohnenteile und mutmaßlich Sprengstoff nach Deutschland zu bringen.
Ein erstes Urteil liegt inzwischen vor: Ende November wurde in Litauen der Ukrainer Daniil B. wegen des Brandanschlags auf das IKEA-Warenhaus verurteilt. Der damals 17-Jährige gestand, die Tat gegen eine Belohnung von 10.000 Euro und einen BMW begangen zu haben. Das Gericht verhängte eine Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Polnische Ermittler gehen davon aus, dass B. anschließend auch in Warschau in weitere Vorbereitungen eingebunden war.
Während Litauen von mindestens 15 Verdächtigen spricht, ermittelt die polnische Staatsanwaltschaft gegen sechs Personen. Fünf von ihnen sitzen in Untersuchungshaft, gegen einen wurde bereits Anklage erhoben. Besonders brisant: Ein mutmaßlicher Schlüsselfigur des Netzwerks, der Russe Jaroslav M., hält sich nach polnischen Angaben derzeit in Aserbaidschan auf. Polen hat seine Auslieferung beantragt, doch auch Russland soll Interesse an dem Mann haben – ein diplomatisches Tauziehen ist entbrannt.
Die Ermittler warnen, dass die Zerschlagung des Netzwerks nicht automatisch das Ende der Sabotageakte bedeutet. Jüngste Explosionen an einer Bahnstrecke in Polen nähren die Sorge, dass weitere Anschläge bereits geplant oder vorbereitet sein könnten. Europas Sicherheitsbehörden stehen damit vor der Herausforderung, einer neuen Form hybrider Bedrohung zu begegnen, die gezielt Unsicherheit und Chaos schüren soll.


