Viele Influcencer sind moralisch verkommen

Foto: pixabay.com/Aathif Aarifeen

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Montréal. Influencer gelten als die neuen Stars im Netz. Millionen folgen ihnen – doch was viele Fans nicht sehen: Hinter der perfekten Fassade brodelt es gewaltig. Eine aktuelle Analyse der Wissenschaftlerinnen Aya Aboelenien (HEC Montréal) und Ai Ming Chow (University of Melbourne) legt moralische Abgründe der Szene offen. Ihr Vorwurf: Viele Influencer spielen mit der Wahrheit, verschweigen bezahlte Partnerschaften und fördern toxische Schönheitsideale. Und sie tun all das – für Klicks, Geld und Einfluss.

Versteckte Werbung und gezielte Täuschung

Besonders brisant: Die Australian Competition and Consumer Commission fand 2023 heraus, dass ganze 81 Prozent der Influencer kommerzielle Kooperationen nicht korrekt kennzeichnen. Damit verstoßen sie nicht nur gegen gesetzliche Vorgaben, sondern täuschen auch gezielt ihre Follower. Die Folge: Fans glauben an echte Produktempfehlungen, obwohl es sich in Wahrheit um bezahlte Werbung handelt.

Der Krebs-Schwindel und die Netflix-Karriere

Ein besonders drastisches Beispiel für Täuschung ist der Fall der australischen Influencerin Belle Gibson. Sie behauptete, mit einer speziellen Diät ihren angeblich unheilbaren Krebs besiegt zu haben – eine Lüge, die sie berühmt machte und ihr einen lukrativen Lifestyle einbrachte. Ein Gericht verurteilte sie später zu einer Strafe von 410.000 australischen Dollar. Doch trotz der Enthüllung wurde ihre Geschichte in der Netflix-Serie Apple Cider Vinegar aufgegriffen – und bescherte ihr weitere Aufmerksamkeit und Einnahmen.

Gefährliche Vorbilder mit Photoshop-Körpern

Neben dem Thema Transparenz kritisieren Aboelenien und Chow auch die unrealistischen Standards, die Influencer – oft mithilfe von Filtern oder Bildbearbeitung – verbreiten. Sogenannte CGI-Influencer (künstlich erzeugte Persönlichkeiten) oder auch „echte“ Influencer zeigen scheinbar makellose Körper, luxuriöse Lebensstile und perfekte Beziehungen. Laut den Forscherinnen entsteht dadurch ein „toxisches Idealbild“, das bei jungen Usern schädliche soziale Vergleiche, Ängste und ein geringes Selbstwertgefühl auslösen kann.

Insbesondere männliche Nutzer verspüren zunehmenden Druck, einem sogenannten „Instabod“ zu entsprechen – einem durchtrainierten, fast schon skulpturhaften Körper. Die Literatur zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen solchen Idealen und Symptomen von Fitness- und Muskelsucht.

Geschäft mit der Unsicherheit

Der zynische Kern: Influencer profitieren oft gerade von den Unsicherheiten, die sie selbst erzeugen. Indem sie unerreichbare Ideale präsentieren und gleichzeitig Produkte für Körperoptimierung oder mentale Gesundheit bewerben, schlagen sie Profit aus dem Leid ihrer Follower. Die Forscherinnen sprechen von einem systematischen Ausnutzen psychischer Schwachstellen – ein gefährlicher Trend in einer weitgehend unregulierten Branche.

Die schillernde Welt der Influencer ist nicht nur Schein, sondern häufig auch bewusste Täuschung. Wenn Likes, Reichweite und Geld über Ethik und Wahrheit gestellt werden, bleibt der Preis nicht aus – und den zahlen am Ende oft die User selbst. Regulierungen sind dringend notwendig, doch auch Plattformen, Medien und Follower stehen in der Verantwortung: für mehr Transparenz, Aufklärung und digitale Zivilcourage.

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