Schwere Wasserkrise in der Türkei

Izmir/Istanbul. Istanbul steht vor leeren Staudämmen, in Izmir fließt kaum noch Wasser aus dem Hahn. Während Experten vor einer nahenden Katastrophe warnen, wird klar: Die Türkei verliert nicht nur Regen, sondern auch Zeit.

Von der Regenquelle zur Wasserkrise

Die Wasserstände in der Türkei sind alarmierend. In Istanbul sind die Staudämme, die Millionen Menschen versorgen, laut der Wasser- und Abwasserverwaltung (ISKI) nur noch zu 21,9 Prozent gefüllt – im Juni waren es noch über 66 Prozent. In Izmir ist die Lage sogar noch dramatischer: Dort sind die Reserven nahezu erschöpft, und die Behörden mussten das Wasser in mehreren Bezirken bereits zeitweise abstellen.

„Unsere Grundwasserreserven sind aufgebraucht“, warnt Prof. Dr. Doğan Yaşar von der Universität Dokuz Eylül. Die Metropole am Ägäischen Meer stehe vor einer der schlimmsten Dürren der letzten Jahrzehnte.

Ein Land trocknet aus

Obwohl die Türkei mit über 1.300 Kubikmetern Süßwasser pro Kopf und Jahr noch knapp über der Schwelle für „Wasserstress“ liegt, warnen Fachleute: Wenn der Trend anhält, wird das Land bis 2050 offiziell wasserarm sein. Der Mittelmeerraum gehört schon heute zu den Regionen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind – und die Türkei spürt seine Folgen mit voller Wucht.

Doch nicht nur die Dürre verschärft das Problem. Die Landwirtschaft verbraucht etwa 70 Prozent des verfügbaren Wassers – oft mit ineffizienten Bewässerungsmethoden. Hinzu kommen Bevölkerungswachstum, Industrie, Umweltverschmutzung und Bergbau.

Wenn Gold den Durst vertreibt

In Regionen wie Uşak wird der Wassermangel zusätzlich durch Großbetriebe und Minen verschärft. Aktivisten werfen der dort ansässigen Goldmine Tüprağ vor, riesige Mengen Grundwasser zu verbrauchen – teilweise mehr, als die gesamte Stadtbevölkerung. Die Betreiber weisen die Vorwürfe zurück, doch das Misstrauen wächst.

Auch in anderen Teilen des Landes verschmutzen Wärmekraftwerke und Bergbaubetriebe die Wasserquellen. Chemikalien wie Zyanid gelangen durch das Waschen von Mineralien ins Grundwasser. Umweltinitiativen warnen: Die Wasserkrise ist längst auch ein Umwelt- und Gesundheitsproblem.

Die verschwenderische Bewässerung

In der Landwirtschaft fließt das Wasser weiterhin unkontrolliert. Die weit verbreitete Oberflächenbewässerung führt dazu, dass bis zu 60 Prozent des Wassers durch Verdunstung oder Versickerung verloren gehen. Hinzu kommt der Anbau von wasserintensiven Pflanzen wie Baumwolle oder Mais in ohnehin trockenen Regionen – ein Rezept für den Kollaps.

Dabei gibt es längst Lösungen: Tröpfchenbewässerung, intelligente Sensoren oder unterirdische Textilsysteme (SSTI) könnten den Verbrauch drastisch senken. Studien zeigen, dass moderne Methoden bis zu 50 Prozent Wasser sparen können – doch sie sind in der Türkei kaum verbreitet.

Neue Wege: Wasser aus Luft, Regen und Meer

Innovative Ideen gewinnen an Bedeutung. Forschende und Start-ups setzen auf Nebelernte-Systeme, bei denen feinmaschige Netze die Feuchtigkeit aus der Luft auffangen. In Regionen wie der chilenischen Atacama-Wüste oder im marokkanischen Aït Baamrane liefern solche Netze bereits hunderte Liter Wasser pro Tag – ein Modell auch für die Türkei.

Daneben bietet sich die Regenwassernutzung als lokale Lösung an. In vielen Ländern Asiens und Afrikas werden traditionelle Systeme wie „Johad“ oder „Taanka“ eingesetzt, um Regenwasser zu speichern und das Grundwasser anzureichern. Auch städtische Dachsysteme könnten in türkischen Metropolen helfen, den Druck auf die Wasserversorgung zu mindern.

Ein anderer Hoffnungsträger ist die Meerwasserentsalzung – eine Technologie, die in Ländern wie Israel oder Saudi-Arabien bereits etabliert ist. Doch sie ist teuer und energieintensiv. Zudem entsteht bei der Entsalzung hochkonzentrierte Sole, die das marine Ökosystem gefährdet. „Entsalzung kann eine Notlösung sein, aber kein Ersatz für eine nachhaltige Wasserpolitik“, betont der Umweltforscher Prof. Peter Gleick von der Stanford University.

Das Rezept für die Zukunft

Was also tun? Experten fordern eine integrierte Wasserstrategie, die Klimaschutz, effiziente Bewässerung, Abwasserrecycling und industrielle Verantwortung verbindet. Ohne tiefgreifende Reformen droht der Türkei ein Wasserkrieg zwischen Städten, Landwirtschaft und Industrie.

„Wenn wir jetzt nicht handeln, ist das Wasser von morgen nicht nur knapp – es wird politisch“, warnt Prof. Yaşar. Denn die Türkei verliert ihr wertvollstes Gut: das Wasser, das Leben bedeutet.

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