Dresden. Während geopolitische Spannungen zunehmen und Extremwetterlagen häufiger werden, ist Sachsen auf den Ernstfall unzureichend vorbereitet. Der Zivilschutz im Freistaat steckt in einem kritischen Zustand. Öffentliche Schutzräume fehlen völlig, wichtige Infrastruktur ist lückenhaft, und die Finanzierung hinkt den Erfordernissen weit hinterher. Innenminister Armin Schuster (CDU) spricht von einem „erheblichen Nachholbedarf“.
„Zeitenwende“ erfordert neues Denken im Zivilschutz
„Wir müssen im Zivil- und Katastrophenschutz endlich Schritt halten mit der Zeitenwende in der Landesverteidigung“, forderte Schuster auf Nachfrage. Der Bund sei als Hauptverantwortlicher bislang zu zögerlich bei zentralen Aufgaben wie Warnsystemen, Versorgungskapazitäten, strategischen Reserven oder der Drohnenabwehr. Nun allerdings, so Schuster, habe die Bundesregierung dem Thema im Koalitionsvertrag den notwendigen Stellenwert eingeräumt.
Der CDU-Politiker weiß, wovon er spricht: Vor seinem Wechsel in die sächsische Landespolitik war Schuster Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).
Keine Schutzräume für die Bevölkerung
Ein besonders alarmierender Fakt: In ganz Sachsen existieren laut BBK derzeit keine öffentlichen Schutzräume. Der Grund: Nach der Wiedervereinigung wurden die vorhandenen Schutzanlagen in Ostdeutschland nicht in das bundesweite Schutzkonzept integriert. Das bedeutet: Im Fall einer militärischen oder chemischen Bedrohung gäbe es für die Zivilbevölkerung keinen sicheren Rückzugsort.
Das sächsische Innenministerium beziffert den Finanzbedarf für den Aufbau eines wirksamen Zivilschutzes auf rund zehn Milliarden Euro innerhalb der kommenden zehn Jahre – bundesweit. Damit könnten unter anderem Rechtsgrundlagen modernisiert, Ausstattungen beschafft und Betreuungskapazitäten aufgebaut werden.
Krankenhäuser auf Ernstfälle besser vorbereitet
Ein Kontrastprogramm zeigt sich im Gesundheitswesen. Laut Gesundheitsministerium erfüllen Sachsens Krankenhäuser längst die gesetzlichen Anforderungen zur Katastrophenvorsorge. Jede Klinik ist verpflichtet, sogenannte KAEP – Alarm- und Einsatzpläne – vorzuhalten und regelmäßig mit Behörden und Rettungsdiensten abzustimmen.
Das Klinikum St. Georg in Leipzig etwa führt regelmäßig Katastrophenübungen durch. „Wir testen gemeinsam mit Rettungsdiensten und anderen Kliniken, ob alle Abläufe im Ernstfall reibungslos funktionieren“, erklärte Kliniksprecherin Manuela Powollik.
Im Falle eines Massenanfalls von Verletzten kann das Klinikum innerhalb von ein bis zwei Stunden vollständig auf Notbetrieb umstellen. Personal wird automatisiert über SMS und Telefon alarmiert. Die medizinische Infrastruktur – von Notaufnahme über Radiologie bis hin zur Intensivmedizin – steht rund um die Uhr zur Verfügung.
Besonders hervorzuheben ist das integrierte Traumazentrum, das mehrere Fachbereiche wie Unfall- und Kinderchirurgie, Intensivmedizin, Brandverletztenversorgung und plastische Chirurgie vereint. Damit ist das Klinikum auf praktisch jedes Notfallszenario vorbereitet – anders als der staatliche Zivilschutz.
Gesundheitswesen voraus – Staat hinkt hinterher
Während Sachsens Kliniken ihre Hausaufgaben gemacht haben, zeigt sich der staatliche Katastrophenschutz als lückenhaft und unterfinanziert. Es fehlt nicht nur an Schutzräumen, sondern an einer umfassenden Sicherheitsarchitektur für die Bevölkerung im Ernstfall. Die Politik hat den Mangel erkannt – doch bis sich das in konkretem Schutz für Bürgerinnen und Bürger niederschlägt, wird es Jahre dauern. Ein gefährlicher Zustand in einer Zeit wachsender Unsicherheit.