Essen. In Nordrhein-Westfalen nimmt der Konflikt um die Finanzierung des Rettungsdienstes eine dramatische Wendung – und die Leidtragenden könnten ab 2026 die Patienten selbst sein. Die Stadt Essen hat als erste Kommune konkrete Zahlen vorgelegt, die das Ausmaß des Problems sichtbar machen: Wer künftig einen Rettungswagen ruft, soll voraussichtlich 267 Euro aus eigener Tasche bezahlen müssen. Auch Krankentransporte etwa zu lebenswichtigen Behandlungen wie Dialyse oder Chemotherapie würden mit 62 Euro Eigenanteil belastet – zusätzlich zu den Kosten, die die Krankenkassen übernehmen.
Hintergrund ist ein eskalierender Streit zwischen Städten und Krankenkassen. Weil die Verhandlungen über die Finanzierung sogenannter Fehlfahrten gescheitert sind, sehen immer mehr Kommunen keine Alternative, als die Kosten direkt an die Bürger weiterzugeben. Fehlfahrten – Einsätze ohne anschließenden Transport ins Krankenhaus – machen nach Angaben der Kommunen bis zu ein Viertel aller Einsätze aus. Für sie gibt es bislang kein Geld von den Kassen. Die Städte haben die Kosten bisher auf die regulären Einsätze umgelegt, doch damit soll nun Schluss sein.
Die Krankenkassen verweisen auf bundesrechtliche Vorgaben: Sie dürften ausschließlich Ausgaben abrechnen, die der Versorgung ihrer Versicherten dienen. Alles darüber hinaus, einschließlich der Fehlfahrten, sei Sache der Kommunen. Bleibt es bei dieser Auslegung, würden die Städte und Kreise in NRW ab Jahresbeginn auf mehr als 250 Millionen Euro jährlich sitzen bleiben – eine Summe, die viele Haushalte nicht verkraften können.
Wie groß die finanzielle Lücke ist, zeigt das Beispiel Essen. Ein Rettungswagen-Einsatz kostet dort laut Gebührenordnung 1.020 Euro. Die Stadt geht jedoch davon aus, dass die Krankenkassen künftig nur einen Teil dieses Betrags begleichen werden. Durchschnittlich sollen 267 Euro ungedeckt bleiben. Diese Differenz soll künftig dem jeweiligen Patienten in Rechnung gestellt werden. Ordnungsdezernent Christian Kromberg verteidigt die Maßnahme notgedrungen: Die Stadt habe keinen Handlungsspielraum mehr.
Auch andere Kommunen erwarten erhebliche Belastungen. Der Rhein-Sieg-Kreis rechnet damit, dass die Kassen ab 2026 nur noch etwa 70 Prozent der Rettungsdienstkosten übernehmen werden. Die Krankenkassen bekräftigen ihrerseits, dass ihnen die Hände gebunden seien – und fordern statt weiterer Übergangslösungen eine strukturelle Reform des Rettungsdienstes. Effizientere Abläufe würden Kosten reduzieren und Fehlfahrten verringern.
Die Kommunen richten nun dringende Appelle an Bund und Land. Der Bund müsse die rechtlichen Lücken schließen, die seit Jahren bekannt sind: Zwei umfassende Reformen der Notfallversorgung sind seit 2019 gescheitert. Auch das NRW-Gesundheitsministerium steht in der Kritik, da es bislang keine Möglichkeit sieht, den Städten zu helfen oder die Krankenkassen zur Kostenerstattung zu verpflichten.
Die Folgen für die Gesundheitsversorgung könnten gravierend sein. Kommunalpolitiker warnen, dass Patienten in Notlagen künftig zögern könnten, den Rettungsdienst zu rufen – aus Angst vor hohen Rechnungen. Die finanzielle Schieflage des Systems drohe so zu einem echten Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung zu werden.


