Berlin. Ob ein Mensch einen Herzstillstand überlebt, hängt in Deutschland weiterhin stark davon ab, wo er lebt. Um diese regionalen Unterschiede zu verringern, treibt das Bundesgesundheitsministerium unter Ministerin Nina Warken (CDU) nun eine umfassende Reform der Notfallversorgung voran. Ein erster Gesetzesentwurf befindet sich in der Ressortabstimmung, Anfang 2026 soll er ins Kabinett eingebracht werden. Doch Rettungsexperten bezweifeln, dass die Pläne wirklich zu einem einheitlichen Versorgungsniveau führen.
Notfallversorgung bleibt Flickenteppich – Länder bestimmen Tempo und Standards
Bislang entscheiden die Bundesländer weitgehend selbst, wie schnell Rettungswagen bei lebensbedrohlichen Notfällen eintreffen müssen und nach welchen Kriterien Notrufleitstellen arbeiten. Für Betroffene kann das dramatische Folgen haben: Die Überlebenschance bei einem Herzstillstand unterscheidet sich regional teils erheblich.
Was der Bund ändern will
Über das Sozialgesetzbuch möchte der Bund künftig stärkeren Einfluss auf die Qualität der Notfallrettung nehmen. Gesetzliche Krankenkassen sollen künftig nicht nur den Transport, sondern auch die medizinische Versorgung am Einsatzort finanzieren. Das soll Investitionen anstoßen – etwa in moderne Leitstellentechnik und digitale Abfragesysteme.
Zudem sollen die Notrufnummern 112 und 116117 perspektivisch miteinander verknüpft werden. Kritische Notfälle sollen so schneller identifiziert werden, während weniger dringende Fälle direkt an den ärztlichen Bereitschaftsdienst gehen. Leitstellen müssten dafür auf digitale Systeme umstellen, die Notrufe standardisiert abfragen und triagieren.
System bleibt freiwillig – Experten warnen vor Ländergefälle
Doch ausgerechnet dieser zentrale Baustein der Reform ist nicht verpflichtend. Leitstellen müssen den Einsatz moderner Abfragesoftware selbst beantragen – tun sie das nicht, bleiben sie vom neuen System weitgehend unberührt. Laut SWR-Recherchen nutzte 2023/24 rund ein Fünftel der Rettungsdienstbereiche keines der empfohlenen Systeme.
Rafael Trautmann von der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften erwartet daher keine flächendeckende Lösung: „Das Gesundheitsleitsystem wird es nicht überall geben.“ Und selbst bundesweite Mindeststandards sollen nur ein „Orientierungsrahmen“ bleiben. Fachgesellschaften dürfen beraten, aber nicht über konkrete Vorgaben entscheiden.
Christof Chwojka von der Björn-Steiger-Stiftung warnt vor politischen Blockaden: „Es besteht die Gefahr, dass erneut finanzielle Interessen über qualitativen Notwendigkeiten stehen.“
225 Millionen Euro – „ein Tropfen auf den heißen Stein“
Der Bund plant eine einmalige Unterstützung der Länder in Höhe von 225 Millionen Euro. Doch Fachleute halten die Summe für viel zu gering. Schon allein die Modernisierung der Leitstellen koste Milliarden, sagt Chwojka.
Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen begrüßt zwar den Reformansatz, kritisiert aber das Tempo: Frühestens 2027 könne das Gesetz wirken. „Das ist eine Zumutung“, so Dahmen. Millionen Menschen müssten bis dahin weiter auf überlastete Notaufnahmen vertrauen.
Politischer Wille als größte Hürde
Bereits 2019 gab es einen Reformentwurf, damals von Jens Spahn (CDU). Nach mehreren Regierungswechseln und dem Ende der Ampelkoalition scheiterte er erneut. Nun kommt Bewegung in die Diskussion – doch Experten mahnen zur Entschlossenheit.
„Es mangelt nicht am Wissen, sondern an der Umsetzung“, sagt Trautmann. Einige Leitstellen hätten längst eigenständig moderne Systeme eingeführt. „Veränderung beginnt im Kopf und muss gewollt werden.“


