Huy. Belgien vollzieht einen weiteren Schritt in Richtung Atomausstieg: Am Dienstagabend wird der Reaktorblock Tihange 1 bei Lüttich endgültig vom Netz genommen. Fast 50 Jahre nach seiner Inbetriebnahme 1975 endet damit ein Kapitel, das von technischen Debatten, politischen Richtungswechseln und internationaler Kritik geprägt war.
Atomkraft als Versprechen – und als Risiko
In den 1970er Jahren setzte Belgien auf Kernenergie als Zukunftstechnologie. Die Reaktoren Doel 1 und 2 bei Antwerpen sowie Tihange 1 gingen 1974 und 1975 ans Netz und lieferten jahrzehntelang Strom. Doch spätestens nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 wandelte sich die öffentliche Stimmung. Spätestens nach dem Unglück in Fukushima 2011 war der europäische Atomausstieg politisch kaum mehr aufzuhalten – Belgien bekräftigte damals sein bereits 2003 beschlossenes Ausstiegsgesetz.
Kritik und Proteste auch aus Deutschland
Das nur 60 Kilometer von Aachen entfernte Tihange 1 stand über Jahre in der Kritik, nicht nur wegen technischer Störungen. Deutsche Behörden und die Anti-Atomkraft-Bewegung warnten wiederholt vor Sicherheitsrisiken. Protestaktionen fanden regelmäßig grenzüberschreitend statt.
Ein Abschied mit Vorbehalt
Mit Tihange 1 folgt nun der vierte belgische Reaktorblock, der stillgelegt wird – nach Doel 1 und 3 sowie Tihange 2. Die Blöcke Doel 4 und Tihange 3 dürfen nach einer Laufzeitverlängerung noch bis 2035 am Netz bleiben. Ursprünglich war geplant, alle belgischen Reaktoren bis dahin abzuschalten.
Doch ob der Abschied von Tihange 1 endgültig ist, bleibt offen. Die Regierung von Premierminister Bart de Wever (N-VA) brachte mehrfach eine Laufzeitverlängerung ins Gespräch – aus Sorge um die Versorgungssicherheit. Drei Jahre lang soll nun geprüft werden, ob der Reaktor eventuell doch reaktiviert werden könnte.
Betreiber Engie setzt auf Rückbau
Der Betreiber Engie verfolgt jedoch klare Pläne: 2026 soll der erste Kühlturm abgerissen werden, um Platz für den Abbau von Tihange 2 zu schaffen. Betriebsleiter Rikkert Wyckmans erklärte gegenüber dem Sender VRT unmissverständlich: „Wir werden Tihange 1 definitiv schließen.“ Eine Verlängerung sei „viel zu teuer und nicht realisierbar“. Für Doel 4 und Tihange 3 zeigte sich das Unternehmen hingegen offen für Gespräche.
Damit bleibt die belgische Energiepolitik zwischen Ausstieg und Laufzeitverlängerung zerrissen – ein Balanceakt zwischen Klimazielen, Versorgungssicherheit und den Kosten des Rückbaus.


