Neues Atomkraftwerk an deutscher Grenze

Foto: Honza Groh/CC BY-SA 3.0

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Während Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie abgeschlossen hat und seine letzten Atomkraftwerke im Frühjahr 2023 stillgelegt hat, geht der weltweite Trend klar in eine andere Richtung: Der internationale Ausbau der Kernkraft – vor allem durch sogenannte Small Modular Reactors (SMR) – gewinnt zunehmend an Fahrt. Auch Tschechien plant nun den Bau eines solchen Mini-Atomkraftwerks – und zwar in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze, keine 20 Kilometer von Sachsen entfernt.

SMR-Reaktor statt Kohle: Tschechien plant neue Atomzukunft

Auf dem Gelände des bestehenden Kohlekraftwerks Tušimice bei Komotau (Chomutov) im böhmischen Becken soll ab dem Jahr 2034 eine neue Ära beginnen. Nach der Abschaltung des Kohlemeilers im Jahr 2030 plant der staatliche tschechische Energiekonzern ČEZ, dort mehrere kleine Atomreaktoren zu errichten. Der erste Reaktorblock mit einer Leistung von 470 Megawatt soll frühestens 2038 ans Netz gehen – das Projekt ist auf einen Zeitrahmen bis 2042 angelegt.

Ziel ist ein vollständiger Ersatz der fossilen Energieversorgung durch moderne Kerntechnologie. SMRs gelten als kompakter, sicherer und flexibler als herkömmliche Atomkraftwerke. Die Reaktoren können industriell vorgefertigt, transportiert und modulartig installiert werden. Länder wie die USA, Südkorea, Finnland oder Polen investieren massiv in diese Technologie – nun also auch Tschechien.

Umweltverträglichkeitsprüfung gestartet – Deutschland informiert

Das deutsche Bundesumweltministerium bestätigte, dass Anfang Mai eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (gUVP) durch die tschechischen Behörden eingeleitet wurde. Diese Prüfverfahren sind laut internationalen Abkommen verpflichtend, wenn durch ein Infrastrukturprojekt Auswirkungen auf Nachbarstaaten nicht ausgeschlossen werden können.

Noch bis zum 13. Juni können Bürgerinnen und Bürger sowie deutsche Behörden Einwendungen bei den zuständigen tschechischen Stellen einreichen. Doch schon jetzt kocht die Debatte auf deutscher Seite hoch – politisch wie gesellschaftlich.

Grüne warnen vor „grenzenloser Dummheit“

Die Kritik an den tschechischen Plänen ließ nicht lange auf sich warten. Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Sächsischen Landtag, sprach angesichts der Atomkraftpläne von einem „Akt grenzenloser Dummheit“ und rief dazu auf, sich aktiv am Einwendungsverfahren zu beteiligen. Die Grünen lehnen jede Form der Kernenergie ab und sehen im Bau neuer Atomkraftwerke eine unnötige Gefährdung für Umwelt und Bevölkerung.

„Wir haben in Europa gelernt, wie riskant Atomkraft ist – die Tschechen ignorieren diese Erfahrung“, so Schubert. Die Partei verweist auf Risiken wie Endlagerung, Unfallgefahren und mögliche Terrorbedrohungen.

AfD und CDU setzen auf nukleare Rückkehr

Gegensätzliche Töne kommen von der politischen Rechten. Der sächsische AfD-Generalsekretär Jan Zwerg begrüßte die Pläne ausdrücklich und bezeichnete SMR-Technologie als „besonders sicher“ und „zukunftsweisend“. Zwerg kritisierte die Grünen scharf und empfahl ihnen einen „naturwissenschaftlichen Nachhilfekurs“. Er forderte, dass Sachsen sich an Tschechien orientieren und selbst wieder auf Kernkraft setzen sollte.

Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer gilt als Freund der Atomenergie. Schon 2023 sprach er sich für einen deutschen Wiedereinstieg in die Kernkraft aus – besonders im Zusammenhang mit polnischen Atomprojekten.

Offizielle Stellen üben Zurückhaltung

Das sächsische Umweltministerium hingegen reagierte zurückhaltend. Auf Anfrage hieß es, dass die konkreten Auswirkungen des geplanten SMR-Kraftwerks derzeit noch nicht eingeschätzt werden könnten. Man werde sich im Rahmen der gUVP „sorgfältig mit den Umweltaspekten“ befassen. Die geographische Nähe – rund 17 Kilometer Luftlinie von der deutschen Grenze – macht die Beobachtung umso relevanter.

Zwischen Sicherheitsbedenken und Energiezukunft

Die Debatte rund um das tschechische SMR-Projekt offenbart einmal mehr den tiefen Riss in Europas Energiepolitik: Während Länder wie Deutschland konsequent aussteigen, setzen andere auf neue Technologien zur CO₂-armen Stromerzeugung. SMRs gelten als Hoffnungsträger – doch nicht ohne Risiken.

Klar ist: Das kleine Atomkraftwerk bei Komotau wird zum großen Politikum – und könnte zum Symbol dafür werden, wie unterschiedlich die Nachbarn in Europa die Energiefragen der Zukunft beantworten. Der Countdown zur Entscheidung läuft – bis zum 13. Juni ist Mitwirkung möglich. Danach dürften die Reaktoren ihren Weg nehmen. Ob mit oder ohne deutsche Zustimmung.

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