Vilnius. Litauen hat angesichts einer Serie von aus Belarus eingedrungenen Ballons den nationalen Notstand ausgerufen. Innenminister Wladislaw Kondratowitsch begründete den Schritt mit massiven Störungen des Luftverkehrs und wachsenden Risiken für die nationale Sicherheit. Die Regierung in Vilnius spricht von einem gezielten „hybriden Angriff“ des Nachbarstaats – eine Einschätzung, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausdrücklich teilt.
Wiederholte Flughafenschließungen – Belarus weist Vorwürfe zurück
Die belarussische Führung bestreitet jede Absicht, den litauischen Luftraum zu destabilisieren. Doch die Faktenlage ist eindeutig: In den vergangenen Wochen mussten mehrere litauische Flughäfen den Betrieb zeitweise einstellen, nachdem Wetterballons aus Belarus in den kontrollierten Luftraum eingedrungen waren. Üblicherweise werden diese Ballons von Schmugglern genutzt, um Zigaretten über die Grenze zu transportieren. Die Zahl solcher Ballonübertritte ist zuletzt sprunghaft angestiegen.
Die Regierung in Vilnius interpretiert die Vorgänge als Versuch Minsks, den Druck auf das EU-Land zu erhöhen. Litauen hatte daraufhin sowohl den Luftraum stärker überwacht als auch den Grenzverkehr eingeschränkt. Lastwagen konnten seit Ende Oktober nicht mehr passieren; erst am 19. November wurde die Grenze wieder geöffnet. Parallel investiert das Land in die technische Kompetenz der Bevölkerung – bereits Schulkinder erwerben in Pilotprogrammen einen „Drohnenführerschein“.
500-Millionen-Euro-Abwehrpaket – ein Kraftakt für das kleine Land
Der „Rat für staatliche Verteidigung“ in Vilnius hat im November ein umfangreiches 500-Millionen-Euro-Sicherheitsprogramm beschlossen, das sowohl die Abwehr russischer Spionage- und Kamikaze-Drohnen als auch die Eindämmung belarusischer Schmugglerballons adressiert. Angesichts eines nationalen Bruttoinlandsprodukts von rund 78 Milliarden Euro (2024) ist dies ein außergewöhnlich großer Posten – mehr als fünf Prozent des gesamten BIP.
Vize-Verteidigungsminister Tomas Godliauskas warnte in deutlichen Worten, dass die Bedrohung durch Drohnen und Ballons aus Russland und Belarus „nicht nur theoretisch, sondern längst praktisch den Alltag stört und unterbricht“. Die litauische Regierung müsse handeln, um Bevölkerung, kritische Infrastruktur und den Luftverkehr vor weiteren Zwischenfällen zu schützen.
Litauen fordert europäische Solidarität
Vilnius drängt derweil auf eine stärkere europäische Reaktion. Der jüngste Vorfall zeige, wie verletzlich kleinere EU-Staaten gegenüber hybriden Angriffsmethoden seien – von technischen Störungen über Schmuggel bis hin zu gezielten Provokationen im Luftraum. Dass selbst zivile Infrastrukturen wie Flughäfen wiederholt blockiert wurden, unterstreiche die strategische Dimension der Ereignisse.
Während Litauen das eigene Abwehrdispositiv hochfährt, wächst innerhalb der EU die Sorge, dass Belarus und Russland zunehmend unkonventionelle Mittel einsetzen, um politische und wirtschaftliche Instabilität zu erzeugen. Der litauische Notstand könnte deshalb zum Präzedenzfall für künftige europäische Sicherheitsmaßnahmen werden.


