Katastrophen-Plan muss mehr trainiert werden

Berlin. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) warnt eindringlich vor erheblichen Defiziten in der deutschen Krankenhauslandschaft, wenn es um die Bewältigung großer Schadenslagen geht. Auf ihrer Jahrestagung in Hamburg machte die Fachgesellschaft deutlich, dass vorhandene Alarm- und Einsatzpläne zwar weit verbreitet sind, in der Praxis aber viel zu selten geübt werden. Professor Andreas Markewitz, medizinischer Geschäftsführer der Vereinigung und Oberstarzt a.D., erinnerte daran, dass KAEP-Pläne, also „Krankenhausalarm- und -einsatzplanung, für Massenanfälle von Verletzten“ ohne regelmäßige Tests wertlos bleiben. Angesichts möglicher sicherheitspolitischer Eskalationen sei das Land nicht ausreichend vorbereitet.

Die Bundeswehr kalkuliert für ein militärisches Krisenszenario mit bis zu 1000 Verletzten pro Tag, darunter etwa 200 Schwerstkranke, die intensivmedizinische Versorgung benötigen. Schon dieser Wert würde die bestehenden Kapazitäten erheblich belasten. Markewitz betonte, dass gezielte Übungen notwendig sind, um im Ernstfall sicher, effizient und professionell agieren zu können.

Professor Felix Walcher, Past Präsident der Vereinigung, kritisierte die fehlende Finanzierung solcher Vollübungen. Eine einzelne Klinik müsse für ein realistisches Szenario zwischen 50.000 und 100.000 Euro aufbringen, bei regional abgestimmten Großübungen ganzer Traumanetzwerke sogar bis zu einer halben Million Euro. Diese Abläufe seien jedoch unverzichtbar, um die Belastungsgrenzen ganzer Regionen unter realen Bedingungen zu testen. Walcher verwies auf die systematischen Schulungs- und Trainingsprogramme, die er nach den Terroranschlägen von Paris und Berlin an der Universitätsmedizin Magdeburg eingeführt hatte. Dort konnte das Personal anhand der eingeübten Abläufe nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt innerhalb kürzester Zeit 72 schwerverletzte Menschen versorgen. Für Walcher ist dieses Beispiel ein Beleg dafür, dass nur geübte Strukturen im Extremfall zuverlässig funktionieren.

DIVI-Generalsekretär Uwe Janssens unterstützt diese Forderung und verweist auf die Notwendigkeit resilienter Kliniken. Investitionen in Strukturen, Schutzmaßnahmen und Personal seien jetzt erforderlich, nicht erst im Moment der Krise. Zudem sieht sich die Fachgesellschaft nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Triage-Gesetz in einer besonderen Verantwortung. Die bisherigen gesetzlichen Vorgaben wurden gekippt, valide Empfehlungen fehlen. Janssens betonte, dass Ärztinnen und Ärzte im Fall massiver Engpässe nach medizinischer Vernunft entscheiden können müssen, ohne durch unklare Gesetzeslagen gebunden zu sein. Die Vereinigung überarbeitet daher derzeit ihre Handlungsempfehlungen aus der Anfangsphase der Corona-Pandemie, um eine einheitliche Grundlage für alle Bundesländer vorzuschlagen.

Auch politisch wächst der Druck. Im Koalitionsvertrag ist bereits vorgesehen, den Gesundheitssektor auf zivile und militärische Krisen besser auszurichten. Doch konkrete Zuständigkeiten, Finanzierungsfragen und ressortübergreifende Abstimmungen bleiben offen. Markewitz verweist darauf, dass der Bündnis- und Verteidigungsfall am Ende des Jahrzehnts realistisch erwartet wird. Walcher fordert deshalb eine klare politische Linie: Die Fachgesellschaften und die Bundeswehr hätten alle notwendigen Konzepte erarbeitet, nun müsse die Politik verbindliche Rahmenbedingungen schaffen. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Bürgerinnen und Bürger betrifft, dulde keinen Aufschub mehr.

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