In Deutschland schlummern Milliarden Euro auf Bankkonten, die scheinbar niemandem gehören. Die Bundesregierung will diese stillen Guthaben nun aktivieren – und für soziale Zwecke nutzen. Doch was nach sozialpolitischem Pragmatismus klingt, entwickelt sich schnell zu einer juristischen und politischen Kontroverse.
Im Koalitionsvertrag der ehemaligen Großen Koalition aus Union und SPD ist die Rede von einem Fonds, in den Guthaben sogenannter „nachrichtenloser Konten“ fließen sollen – also Konten, auf denen seit Jahren keine Aktivität verzeichnet wurde. Doch was genau ein solches Konto ausmacht, ist bislang völlig unklar.
Milliarden im Schatten – doch wem gehören sie wirklich?
Schätzungen sprechen von zwei bis neun Milliarden Euro, die auf diesen ruhenden Konten liegen. Die Gründe sind vielfältig: Verstorbene ohne bekannte Erben, vergessene Sparkonten, ungenutzte Girokonten. Doch ob der Staat darauf tatsächlich zugreifen darf, ist juristisch höchst umstritten.
„Was gilt eigentlich als nachrichtenlos? Nach fünf Jahren? Zehn? Zwanzig? Dafür gibt es derzeit keine gesetzliche Definition“, sagt Thorsten Höche, Chefjustiziar des Bundesverbands deutscher Banken. Und er warnt: „Das wäre ein Eingriff in Eigentumsrechte – teils von lebenden Kunden.“
Rechtsstaat am Limit?
Der mögliche Zugriff des Staates auf private Kontoguthaben stellt einen heiklen Präzedenzfall dar. Zwar sieht das Erbrecht vor, dass der Staat als „Fiskuserbe“ einspringt, wenn keine Angehörigen auffindbar sind. Doch das geschieht nur nach sorgfältiger Prüfung durch Nachlassgerichte. Und: Der Anspruch verjährt nach 30 Jahren – bis dahin bleibt das Geld unangetastet.
„Der Staat kann bereits heute als Erbe auftreten – aber eben erst dann, wenn niemand anderes Anspruch erhebt. Das ist ein rechtsstaatlich klar geregeltes Verfahren“, betont Höche.
Politische Debatte erst am Anfang
Bislang handelt es sich bei den Plänen lediglich um eine Absichtserklärung – ein Gesetz liegt noch nicht vor. Doch der politische Wille zur Aktivierung dieser Milliarden ist offenkundig. Angesichts steigender Sozialausgaben und leerer Haushaltskassen ist das Potenzial verlockend. Kritiker sehen darin jedoch mehr als nur eine Haushaltsstrategie – sie warnen vor einem Dammbruch.
Soll der Staat künftig definieren können, wann ein Konto „vergessen“ ist – und sich daran bedienen dürfen? Die Debatte um die nachrichtenlosen Milliarden ist ein Lehrstück darüber, wie schnell Eigentumsrechte ins politische Visier geraten können – und wie schmal der Grat zwischen sozialem Nutzen und juristischer Willkür werden kann.