Die Entscheidung von Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU), die Alarmstufe des Notfallplans Gas auf die Frühwarnstufe abzusenken, sorgt in Teilen der Energiebranche weiterhin für Irritation. Während das Ministerium in der aktuellen Versorgungslage keine akuten Risiken erkennt, warnen Fachverbände vor einem trügerischen Sicherheitsgefühl.
Branche kritisiert Timing der Entscheidung
„Warum eine Entwarnung erfolgt, während die Gasspeicher deutlich hinter den Zielwerten zurückbleiben, ist nicht nachvollziehbar“, kritisierte Sebastian Heinermann, Geschäftsführer des Branchenverbands Ines. Zwar sei die Versorgung aktuell gesichert, doch die niedrigen Füllstände könnten in einem kalten Winter zu Versorgungsengpässen führen.
Speicher nur zur Hälfte gefüllt – weit unter Vorjahresniveau
Nach aktuellen Daten von Gas Infrastructure Europe (Stand 13. Juli) sind Deutschlands Gasspeicher nur zu rund 55 Prozent gefüllt. Zum Vergleich: In den Vorjahren lagen die Füllstände zu diesem Zeitpunkt bei über 80 Prozent. Ein alarmierender Trend, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Speicher im Extremfall – etwa bei Temperaturen wie im Winter 2010 – bereits Ende Januar 2026 leer sein könnten.
Marktlage hemmt Einspeicherung
Neben einem kälteren Winter als in den Vorjahren sorgten auch wirtschaftliche Faktoren für niedrige Speicherstände. Der ungewöhnliche Umstand, dass Gaslieferungen für den Sommer 2025 teurer waren als für den darauffolgenden Winter, machte das Einlagern wirtschaftlich unattraktiv. Hinzu kamen ausbleibende russische Lieferungen über die Ukraine, die durch Ausspeicherungen kompensiert wurden.
Rehden und Süddeutschland als Sorgenkinder
Besondere Aufmerksamkeit gilt dem größten deutschen Speicher im niedersächsischen Rehden, der aktuell bei rund vier Prozent liegt – ein Fünftel der gesamten Kapazität Deutschlands. Ähnlich kritisch: der Speicher Wolfersberg in Bayern, der zuletzt sogar bei null Prozent lag. Beide Speicher sind sogenannte Porenspeicher, die sich technisch deutlich langsamer befüllen lassen. Süddeutschland gilt deshalb als besonders anfällig für mögliche Engpässe.
Zielvorgaben kaum noch erreichbar
Rein rechnerisch ist eine vollständige Befüllung aller Speicher bis zum 1. November kaum noch möglich. Selbst mit maximaler Einspeiseleistung wären viele Speicher – insbesondere im Süden – erst Mitte Dezember vollständig gefüllt. Das Gasspeichergesetz gibt zwar Mindestfüllstände vor (80 % bis Oktober, 90 % bis November), doch die Regierung hat die Vorgaben kürzlich abgesenkt: Für Porenspeicher wie Rehden gelten nur noch 45 Prozent.
Staat hält sich zurück – Kritik wächst
Trotz des Rückstands sieht das Wirtschaftsministerium keinen Handlungsbedarf. Eine staatliche Befüllung durch Trading Hub Europe wie im Sommer 2022 sei diesmal nicht nötig, so Reiche. Die gestiegene Verfügbarkeit von Flüssiggas (LNG) und der Ausbau der Infrastruktur würden für ausreichende Versorgungssicherheit sorgen.
Doch Branchenvertreter wie EWE-Chef Stefan Dohler warnen: Ohne wirtschaftliche Anreize drohe eine unzureichende Befüllung – und damit ein Risiko für Haushalte und Industrie im Winter.
Versorgungslage stabil, doch Risiko steigt
Die Bundesregierung beschwichtigt, doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Niedrige Speicherstände, fehlende wirtschaftliche Anreize und ein möglicher harter Winter könnten zur Belastungsprobe für das deutsche Gassystem werden. Die Senkung der Krisenstufe könnte sich als voreilig herausstellen.