Kartoffeln gelten für viele als fester Bestandteil deutscher Esskultur – insbesondere in der Spargelsaison. Doch eine wachsende Bedrohung könnte die Versorgung mit heimischen Kartoffeln bald stark beeinträchtigen. Ein kleiner Insekten-Schädling, die Schilf-Glasflügelzikade, breitet sich zunehmend in landwirtschaftlichen Regionen aus und richtet dabei erheblichen Schaden an. Die Folge: Eine spürbare Verknappung deutscher Kartoffeln droht.
Ein unscheinbarer Schädling mit enormer Wirkung
Die Schilf-Glasflügelzikade, ein Insekt von gerade einmal wenigen Millimetern Länge, überträgt gefährliche Pflanzenkrankheiten, die insbesondere den Kartoffelanbau bedrohen. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft überträgt die Zikade Bakterien, die zwei Krankheitsbilder hervorrufen: SBR (Syndrom niedriger Zuckergehalte) und Stolbur, eine Infektion der Leitbahnen der Pflanzen.
Diese Krankheiten beeinträchtigen nicht nur das Wachstum der Pflanzen, sondern vor allem die Qualität der Knollen. Die veränderte Zusammensetzung – ein niedriger Stärkegehalt bei gleichzeitig erhöhtem Zuckergehalt – macht die betroffenen Kartoffeln für viele Verwendungszwecke unbrauchbar, insbesondere für die industrielle Verarbeitung wie Pommes frites oder Chips. Beim Frittieren kommt es zu ungewollten Bräunungen, was die Ware für die Lebensmittelindustrie entwertet.
Flächenverluste könnten gravierend sein
Besonders alarmierend sind die aktuellen Prognosen: Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ) rechnet im Jahr 2025 mit einem möglichen Befall von rund 123.000 Hektar Kartoffelanbaufläche – das entspräche fast einem Drittel der gesamten deutschen Anbaufläche. Bereits jetzt melden einige Regionen Ernteverluste von bis zu 50 Prozent. Besonders betroffen sind die Bundesländer Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg.
Der Vorsitzende der WVZ, Dr. Stefan Streng, spricht von einer „der größten pflanzenbaulichen Herausforderungen der kommenden Jahre“. Auch andere Kulturpflanzen wie Zuckerrüben, Erdbeeren, Karotten und Rote Bete sind laut der WVZ potenziell betroffen.
Bekämpfung der Zikade: Ein Balanceakt
Die Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die Schilf-Glasflügelzikade bislang als gefährdete Art gilt. Das bedeutet, dass der Einsatz wirksamer Pflanzenschutzmittel bislang stark reglementiert war. Um dennoch auf die Bedrohung reagieren zu können, wurde kürzlich eine Notfallzulassung für bereits existierende Insektizide auf Kartoffeln ausgeweitet – allerdings nur für einen Zeitraum von 120 Tagen.
Langfristig setzen Wissenschaft und Politik jedoch auf nachhaltigere Alternativen. In Forschungsprojekten wird an RNA-basierten Schutztechnologien gearbeitet, die gezielt in den Lebenszyklus der Zikade eingreifen sollen. Diese Methoden könnten künftig den Einsatz chemischer Insektizide verringern und dennoch wirksam gegen die Überträger der Pflanzenkrankheiten vorgehen.
Klimawandel als Brandbeschleuniger
Ein wesentlicher Faktor für die Ausbreitung des Schädlings ist der Klimawandel. Steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster schaffen günstige Bedingungen für die Zikade, sich in neuen Gebieten anzusiedeln. Damit reiht sich das Problem in eine ganze Serie klimabedingter Herausforderungen ein, mit denen sich die Landwirtschaft konfrontiert sieht.
Besonders hart trifft es Niedersachsen – das Bundesland ist Deutschlands größter Kartoffelproduzent. Dort laufen bereits umfangreiche Maßnahmen: von verstärktem Monitoring bis hin zum Einsatz von Schutznetzen über den Feldern. Doch trotz aller Bemühungen ist die Lage angespannt.
Industrie und Handel stehen unter Druck
Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Kartoffeln ist für die verarbeitende Lebensmittelindustrie essenziell. Sollte es in diesem Jahr zu massiven Ausfällen kommen, könnte das nicht nur das Angebot in den Supermärkten verknappen, sondern auch zu Preissteigerungen führen. Ein großflächiger Import von Kartoffeln sei laut Experten keine praktikable Lösung: Neben den hohen Transportkosten spielen auch ökologische Aspekte und Kapazitätsgrenzen eine Rolle.
Heimische Kartoffeln unter Druck
Die Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade könnte die deutsche Kartoffelversorgung in eine ernsthafte Krise stürzen. Zwar laufen bereits zahlreiche Gegenmaßnahmen, doch viele davon wirken erst langfristig. Kurzfristig bleibt die Lage angespannt, und in manchen Regionen könnten Kartoffeln bald knapp werden. Für Verbraucherinnen und Verbraucher könnte das spürbare Folgen haben – im Supermarktregal und auf dem Teller.