Hochvogel im Allgäu vor dem Kollaps

Foto: Clemens Pohl/CC BY-SA 3.0

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Ein Wahrzeichen der Allgäuer Alpen steht vor einer dramatischen Veränderung: Der 2.592 Meter hohe Hochvogel, einer der markantesten Gipfel der Region, droht auseinanderzubrechen. Geologen schlagen Alarm – der Berg weist einen gewaltigen Riss auf, der sich stetig vergrößert und auf einen bevorstehenden Bergsturz hindeutet.

Tiefer Riss durchzieht den Gipfel

Ein Felsspalt, rund 40 Meter lang, drei Meter breit und bis zu acht Meter tief, zieht sich durch den Gipfelbereich und hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Seit 2018 wuchs der Spalt um etwa 30 Zentimeter. Besonders eindrucksvoll dokumentiert wurde die Veränderung durch Drohnenaufnahmen und hochauflösende Bilder, auf denen sich die Spaltung klar erkennen lässt. Der Riss beginnt unmittelbar am Gipfelkreuz und reicht viele Meter in die Tiefe – ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich das Gestein zunehmend lockert.

Bis zu 260.000 Kubikmeter Fels könnten abbrechen

Wissenschaftler der Technischen Universität München, unter der Leitung von Professor Michael Krautblatter, beobachten die Situation am Hochvogel seit Jahren intensiv. Im Rahmen des Projekts „AlpSenseBench“ wurde der Gipfel mit einem hochpräzisen Messsystem ausgestattet, das selbst geringste Bewegungen im Hundertstelmillimeterbereich erfassen kann.

Laut Krautblatter sei ein gewaltiger Felssturz kaum noch zu vermeiden. Es wird damit gerechnet, dass rund 260.000 Kubikmeter Gestein in mehreren Etappen abbrechen und ins Hornbachtal auf österreichischer Seite stürzen könnten. Dieses Gebiet ist zwar unbewohnt, jedoch befinden sich Wanderwege, Almhütten und Weideflächen in der näheren Umgebung – ein Risiko, das nicht unterschätzt werden darf.

Frühwarnsystem in Bereitschaft

Die gute Nachricht: Dank moderner Messtechnik können Forscher eine drohende Abbruchphase zumindest kurzfristig erkennen. So lassen sich, ähnlich wie bei Wetterprognosen, relativ zuverlässige Vorhersagen für ein Zeitfenster von zwei bis drei Tagen treffen. „Wenn wir beobachten, dass sich der Spalt plötzlich schneller bewegt – etwa von einem Zentimeter pro Tag auf einen Zentimeter pro Stunde – können wir sofort Alarm schlagen“, erklärt Krautblatter.

In einem solchen Fall werden die zuständigen Stellen wie Bergwacht, Alpenverein sowie Behörden in Tirol und Bayern unmittelbar informiert. Die Experten gehen davon aus, dass sich der Abbruch in sechs bis sieben größeren Schüben vollziehen würde. Dabei könnten große Gesteinsmassen zunächst in zwei Wildbäche stürzen, die sich bereits in einem gesperrten Bereich befinden. In den Folgejahren könnten aus dem Schutt Murenabgänge entstehen, die unter Umständen das Hinterhornbachtal erreichen – allerdings nicht die bewohnten Zonen.

Ein Berg in Bewegung – über Jahrzehnte hinweg

Der drohende Einsturz des Hochvogels ist kein einmaliges Ereignis, sondern vielmehr der Beginn eines langfristigen Prozesses. Die Fachleute gehen davon aus, dass der verbleibende Gipfel in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren weiter instabil bleibt und sich in mehreren Phasen ablösen wird.

„Der Begriff ‚felsenfest‘ scheint inzwischen ein Relikt vergangener Zeiten zu sein“, so Krautblatter. Bereits 2018 kam es zu einem ersten größeren Felsabbruch: Damals stürzten 500 Kubikmeter Gestein von der Südwand des Hochvogels ins Tal.

Klimawandel als Hauptursache

Als Hauptverursacher der instabilen Lage gilt der Klimawandel. Das zunehmende Auftauen von Permafrostböden in den Alpen führt dazu, dass Gestein seine natürliche „Klebekraft“ verliert. Was früher durch gefrorenes Wasser fest zusammengehalten wurde, beginnt sich nun zu lösen. Hinzu kommen extreme Wetterereignisse, die sich in den letzten Jahrzehnten häufen. Besonders starker Regen, so Krautblatter, beschleunige die Bewegungen des Berges deutlich.

Daten aus den installierten Sensoren zeigen zudem, dass sich Starkregenereignisse in den vergangenen 100 Jahren etwa verdoppelt haben. Auch Blitzschläge wirken sich negativ auf die Stabilität des Gipfels aus – was in der Vergangenheit oft unterschätzt wurde.

Ein Monument der Alpen wankt

Der Hochvogel steht sinnbildlich für den Wandel, den viele Hochgebirgsregionen derzeit durchlaufen. Klimatische Veränderungen, intensive Niederschläge und der Verlust von Permafrost destabilisieren selbst die massivsten Berge. Noch ist Zeit, Schutzmaßnahmen zu treffen und Wanderer frühzeitig zu warnen – doch die Uhr tickt.

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