Meißen. In vielen deutschen Kommunen verzögert sich die Ausstellung von Sterbeurkunden massiv. Angehörige müssen nicht selten mehrere Wochen, in Einzelfällen sogar Monate warten – mit weitreichenden Folgen für Bestattungen und bürokratische Abläufe. Wer einen geliebten Menschen verliert, sieht sich nicht nur mit Trauer, sondern auch mit einem Berg an Formalitäten konfrontiert. Besonders gravierend ist aktuell die Situation rund um die Sterbeurkunden: In zahlreichen Städten und Gemeinden kommt es zu teils erheblichen Verzögerungen bei deren Ausstellung – mitunter bis zu drei Monate.
Digitalisierung sorgt für doppelte Arbeit
Ein Hauptgrund für die Engpässe liegt in der schleppend verlaufenden Digitalisierung der Standesämter. Zwar wurde mit der sogenannten „elektronischen Sammelakte“ ein moderner Prozess eingeführt, in der Praxis führt die Umstellung jedoch zu doppeltem Aufwand. Alte Papierdokumente müssen eingescannt, digital abgelegt und dennoch in Papierform weiterbearbeitet werden. Jörg Schaldach, Leiter des Krematoriums Meißen, berichtet, dass die Bearbeitung eines Sterbefalls mittlerweile doppelt so lange dauert wie früher – oft bei unvollständigen Unterlagen. Die Folge: Im Krematorium stauen sich die Särge, denn ohne Sterbeurkunde darf keine Einäscherung erfolgen.
Überforderung in Großstädten
Besonders stark betroffen sind Großstädte wie Berlin. Hans-Joachim Möller vom Verband unabhängiger Bestatter berichtet von dramatischen Zuständen in manchen Bürgerämtern, wo Anträge kaum noch fristgerecht bearbeitet werden können. In Extremfällen warten Angehörige bis zu drei Monate auf das notwendige Dokument. Ein Problem sei die uneinheitliche Arbeitsweise in den verschiedenen Kommunen. Möller fordert eine flächendeckend funktionierende, digitale Lösung, die Prozesse vereinheitlicht und vereinfacht – doch vielerorts fehlt das Geld für entsprechende IT-Systeme.
Kompliziert und veraltet: Der Weg zur Urkunde
Die Bürokratie rund um einen Todesfall ist aufwendig: Ärzte müssen handschriftlich umfangreiche Formulare ausfüllen und stempeln, Bestatter transportieren diese dann zum zuständigen Standesamt. Dort werden die Informationen analog an das Gesundheitsamt weitergeleitet – beide Behörden digitalisieren die Daten anschließend jeweils separat. Erst dann kann die Sterbeurkunde erstellt werden.
Christian Jäger vom Bestatterverband Nordrhein-Westfalen kritisiert den umständlichen Ablauf scharf: „Wir leben im digitalen Zeitalter – aber beim Todesfall wirkt das System wie aus dem letzten Jahrhundert.“
Personalmangel verschärft die Situation
Hinzu kommt der wachsende Personalmangel in den Standesämtern. Durch gestiegene Sterberaten – jährlich sterben inzwischen rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland – steigt auch die Zahl der zu bearbeitenden Fälle. Doch das Personal wächst nicht im gleichen Maß mit. „Jeder Todesfall ist auch ein Verwaltungsakt“, erklärt Möller. „Wenn das Personal fehlt, verlängert sich zwangsläufig die Bearbeitungszeit.“
Behelfslösungen mit Rückstellungen
Um Bestattungen nicht unnötig zu verzögern, greifen die Behörden immer öfter zu sogenannten „Rückstellungen“. Damit wird bestätigt, dass ein Todesfall gemeldet wurde – auch wenn die eigentliche Sterbeurkunde noch aussteht. Diese Notlösung ermöglicht etwa Erdbestattungen innerhalb der gesetzlichen Fristen. Allerdings reicht die Rückstellung nicht für andere wichtige Vorgänge. Ohne gültige Sterbeurkunde können Banken keine Konten freigeben, Testamente bleiben unbearbeitet, und auch Mitgliedschaften lassen sich nicht auflösen. Besonders heikel ist das bei der Rentenversicherung: Der Antrag auf Übergangsrente muss binnen 30 Tagen nach dem Todesfall eingereicht werden – mit Sterbeurkunde.
Totenschein nicht zu verwechseln
Wichtig zu wissen: Die Sterbeurkunde ist nicht dasselbe wie der Totenschein. Letzteren stellt der Arzt unmittelbar nach dem Tod aus – er muss spätestens am dritten Werktag beim Standesamt vorliegen. Erst dann kann die eigentliche Urkunde beantragt werden.
Zuständig ist immer das Standesamt am Ort des Todes, nicht am Wohnsitz der verstorbenen Person. Antragsberechtigt sind meist die engsten Angehörigen, etwa Ehepartner oder direkte Verwandte. In der Praxis übernehmen diesen Schritt oft die Bestattungsunternehmen – vielerorts geht das inzwischen zumindest online.
Reform dringend nötig
Die aktuelle Situation in den Standesämtern offenbart eine eklatante Schwachstelle in der deutschen Verwaltung. Ohne schnelle und flächendeckende Digitalisierung, ausreichendes Personal und klare Zuständigkeiten bleiben trauernde Angehörige auf bürokratischen Hürden sitzen – ein untragbarer Zustand, der dringend behoben werden muss.